Montag, 8. Juni 2015

Der Fake Faktor - Urteil

Montag, 23. Dezember 1996 

Die Tageszeitung kündigt ihren Lesern die bevorstehende Verurteilung des TV-Fälschers Born an, die übrigens zeitgleich zu einem Prozess am Frankfurter Landgericht über einen Fall angeblicher Untreue beim Hessischen Rundfunk (HR) erfolgt:

"Im Prozess konnte man sich davon überzeugen, dass die Redakteure eher mehr denn weniger an den Fälschungen beteiligt waren (...). Günther Jauch ging soweit zu verkünden, er sei noch nie in einem Schneideraum gewesen. Entweder ist dieser Satz eine Lüge, oder er beschreibt realistisch die Arbeitssituation eines Menschen, der gar nicht wissen will, ob er Lügen oder Wahrheiten verkauft."

An ein Publikum, dass in Koblenz keine Rolle spielte, obwohl sie die eigentlichen Betrogenen sind. „Aber für Betrug am Zuschauer gibt es leider keinen Paragraphen im Strafgesetzbuch“, unterstreicht nach dem Urteil Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und nach wie vor Vorsitzender der Rundfunkkommission der Länder. Am Vormittag verurteilt der Vorsitzende Richter Ulrich Weiland Michael Born zu vier Jahren Haft, sein Ex-Helfer Charalampous muss für zwei Monate hinter Gitter. Die 12. Strafkammer befindet ihn des Betrugs in 16 Fällen und des versuchten Betrugs in vier Fällen für schuldig.

Die Höhe des Strafmaßes komme in erster Linie wegen Delikten wie Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhass (Beitrag über angebliche Ku Klux Klan-Aktivitäten in der Eifel), Urkundenfälschung oder dem Vortäuschen von Straftaten zu Stande. Diese Straftaten hätten schwerer gewogen als die Betrugsvorwürfe, erklärt Richter Weiland.



 
 
 
 
Urteil und Prozessende - Richter Ulrich Weiland fällt ein hartes Urteil und schickt den TV-Kujau für vier Jahre hinter Gitter, Tochter und Frau bleiben im Gerichtssaal zurück.




Dass Redakteure und sonstige Mitarbeiter von stern TV in ihren Aussagen nicht die Wahrheit ausgesagt haben könnten, schließt das Gericht aus. Grund: auf ihnen habe ein hoher Druck zur Wahrhaftigkeit gelastet. Sollte ein Zeuge wegen Meineids verurteilt werden, „dann wäre seine Existenz mit Sicherheit zerstört“. Dieses existenzielle Dilemma könnte „aber auch der Grund für alle gewesen sein, dicht zusammenzuhalten“, konstatiert EPD in einem späteren Rückblick auf den Prozess.
 
Ungeklärt bleibt auch die Mitverantwortung von stern TV. Denn Born war zwar Lieferant des gefälschten Materials, aber nicht alleiniger Urheber der strafbaren Filmbeiträge. Bleibt die Frage, ob eine solche Aufgabenteilung nicht auch „juristisch als Co-Autorenschaft (...) hätte gewertet werden müssen“, gibt EPD weiter zu Bedenken.  Nach dem Verhandlungsmarathon, in dem die Justiz nach eigenen Worten Neuland betreten und gleichzeitig ziemlichen Nachholbedarf in Sachen Medienkompetenz an den Tag gelegt hat, spart der Richter nicht mit Kritik an stern TV. Die fehlenden Kontrollen, die nach dem Pressegesetz hätten erfolgen müssen, hätten sich bei der Strafzumessung zu Gunsten Borns ausgewirkt.
 
Die Beweisaufnahme zeigte nämlich, dass Born nicht der eiskalte Fälscher ist, dem man nicht auf die Schliche hätte kommen können. Mit diesen Worten rechtfertigte Anfang des Jahres stern TV noch, dass es auf ein Dutzend falscher Born-Filme hereingefallen war.
 
Einen Tag vor Heiligabend geht die folgende DPA-Meldung  über den Ticker und erreicht die Redaktionen:
 
"Spätestens im August 1995, als ein Born-Film über Kinderarbeit für Ikea in Indien als Fälschung aufgeflogen war, hätte die Redaktion tätig werden müssen, so Richter Weiland. Darüber, dass es „stern TV“ in einigen Beiträgen ebenfalls mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte, habe das Gericht nicht zu befinden."
 
Die meisten Tageszeitungen arbeiten da bereits mit eingeschränkter Mannschaft, Artikel kommen aus dem Stehsatz ins Blatt, zum Recherchieren hat niemand so richtig Lust. Es herrscht Weihnachtsstimmung. Wer nichtsdestotrotz von den Gescholtenen einen Kommentar haben will, erfährt per Anrufbeantworter, die Redaktion sei vom 20. Dezember 1996 bis 7. Januar 1997 nicht erreichbar.
 
In einer Pressemitteilung lässt stern TV noch wissen, dass es sich bei den von Born begangenen Straftaten keineswegs um Kavaliersdelikte handele:
 
"Mit dem heutigen Wissen würden wir uns wünschen, Born einige Wochen eher angezeigt zu haben“, erklärt Zaik. Allerdings habe das Gericht auch festgestellt, dass Born mit hoher krimineller Energie vorgegangen sei."
 
Dienstag, 24. Dezember 1996
 
Hat dies das Gericht wirklich so festgestellt? Diese Version ist der TAZ offenbar entgangen, das Blatt hält einen anderen Tenor fest:
 
"Der Aufwand an „krimineller Energie“ habe - angesichts der fehlenden Kontrollmechanismen bei den Redaktionen - „nicht sonderlich stark“ sein müssen. Ganz besonders monierte Weiland, dass Stern TV mit einer „bisher nicht offenbar gewordenen Dreistigkeit“ versucht habe, den Skandal mit Born zu vertuschen.“
 
Trifft es also zu, dass die eigentlichen Verantwortlichen in den Sendeanstalten sitzen und lediglich ein „erfolgreiches Schuld-Outsourcing“ betrieben haben, wie die TAZ vermutet, für die auch das Urteil am System wenig ändert:
 
"Im Gegenteil. Es bremst einen Prozess der Entmystifizierung, der seit Jahren nur mühsam in Gang kommt. Nun steht zu befürchten, dass die gesunden Zweifel am Medium Fernsehen zusammen mit Born von der Bildfläche verschwinden (...). Solange es keine Regelungen gibt, die den Zuschauern signalisieren, welche Bilder aus dem Archiv und welche inszeniert sind, sind solche Urteile Makulatur.“
 
Mittwoch, 8. Januar 1997
 
Über den Jahreswechsel zieht in der Kölner Redaktion wieder der Alltag ein. Zumal die Fakes keine negativen Folgen für das Magazin hatten. Durch die Enthüllung der Betrugsserie ist weder ein Rückgang in puncto Einschaltquoten noch bei den Werbebuchungen festzustellen. Übrigens ist wieder die Jahreszeitzeit der TV-Rückblicke. Wie gewöhnlich sind die Webeinseln im stern TV-Rückblick ausgebucht. Darin: die „spannendsten Reportagen“ aus dem Jahr 1996 - Kindesmissbrauch und -Pornografie stehen ganz oben auf der Hitliste.
 
Der größte Betrugsfall im deutschen Fernsehen, der die deutschen Medien ein Jahr lang beschäftigte, Zuschauern wie Lesern ungeahnte Einblicke hinter die Kulissen der Branche gewährte und gleichzeitig das Medium TV entzauberte, bleibt darin allerdings unberücksichtigt.
 
Donnerstag, 16. Januar 1997
 
Genau ein Jahr nachdem der Skandal ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten war, flackert er im Hamburger Wochenblatt Die Zeit ein letztes Mal auf. Als „Sittengeschichte des Fernsehjahres 1996“ mit Günther Jauch als Hauptperson:
 
"Bei der Endabnahme von Filmen (...) interessiere ihn nicht, ob die Darstellungen stimmen, sondern ob die Geschichten „stimmig“ sind. (...) Diese Ideengeschäfte sind offenbar dem Ziel hoher Quoten eher verpflichtet als der Wirklichkeit. Die Zeugenvernehmungen insgesamt vermittelten den Eindruck, Stimmungsmache sei das oberste Gebot in den Aufschneideräumen von Stern TV gewesen."
 
 
Sprung in die Gegenwart
 

Günther Jauch gründet im Sommer 2000 gemeinsam mit Andreas Zaik die I&U - Information und Unterhaltung TV Produktion GmbH - in Köln. Hauptgesellschafter ist Jauch, Geschäftsführer und Chefredakteur Andreas Zaik. Seitdem produziert I&U auch stern TV und mittlerweile für RTL oder Vox über einhundert Sendungen pro Jahr. Darunter die Grips-Show, die 80er Show mit Oliver Geissen, die von Hape Kerkeling moderierte 70er Show, die DDR-Show oder den RTL-Jahresrückblick.

 
 
 
 
Freude und Jubel - Günther Jauch erhält im Jubiläumsjahr des Privat-TV den Publikums-Bambi, Alice Schwarzer gratuliert und niemand fragt den Ausgezeichneten nach dem größten Skandal in der deutschen TV-Geschichte.




I&U war auch Produzent der beiden Sendungen, die RTL am 3. und 12. Januar 2004 zum 20. Jubiläum des deutschen Privatfernsehens ausstrahlte. Insbesondere bei jungen Zuschauern zwischen 14 und 49 Jahren seien die Shows hervorragend angekommen, heißt es in einer Pressemeldung danach: „Hier lag der Marktanteil bei starken 27,2 Prozent (3,58 Millionen Zuschauer) - klare Marktführerschaft am Abend.“

 

Der Fake Faktor - Was wussten die Redaktionen ?

Montag, 25. November 1996

Genau dies zeigen die letzten Zeugenvernehmungen. Die Aussagen des stern TV-Redakteurs Axel Pfeiffer, seines Chefs, Andreas Zaik sowie ihrer ehemaligen Kollegin Sigrid Hüpen werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben und lassen das journalistische Selbstverständnis in der Kölner Redaktion in keinem guten Licht erscheinen.

Ob Hüpen den Born-Film über die schon erwähnte Drogenkurierfahrt mit Puderzucker von Frankfurt nach Basel abnahm, will das Gericht wissen. „Ich halte es für möglich, dass ich in dieser Sache Chef vom Dienst war“, entgegnet  sie. Mit der sofortigen Entschuldigung, vielleicht doch nicht genau genug hingeschaut zu haben. „Ich hatte an dem Wochenende viel zu tun und stand sehr unter Zeitdruck.“ 

Der Wirrwarr geht weiter mit dem Film „Katzenjagd“. Pfeiffer räumt ebenso wie seine Ex-Kollegin Hüpen ein, dass ihm der Bart des Jägers merkwürdig vorgekommen sei. Aber auch als er mit dem Jäger telefoniert habe, sei ihm nicht in den Sinn gekommen, nachzufragen, ob der Bart echt sei. Dabei hätte Born hier bereits auffliegen können.

„Damals hatten wir den Schlüssel in der Hand“, sagt Zaik, „und nachträglich könnte ich in die Tischplatte beißen.“ Das macht er dann nicht und er mochte sich wohl auch „nicht ins Bein beißen“, wie Friedrich Küppersbusch vor Gericht nach seiner Blamage durch das Born-Fake erklärt hatte. Vielmehr habe er eine eidesstattliche Versicherung verlangt, dass die Filmszenen authentisch seien, was Pfeiffer bestätigt, aber seine Ex-Kollegin nicht mitbekommen hat. Zaik auf die Frage, ob er mit Hüpen über die Versicherung gesprochen habe: „Das kann ich nicht definitiv bejahen.“

Wenn sich stern TV aber zu dem Film von Born vorher schriftlich versichern ließ, dass die Aufnahmen echt seien, dann bestand offenbar doch ein Anfangsverdacht. Ein Verdacht, der eben nicht durch eine Gegenrecherche aus der Welt geschafft wurde, wie Jauch in der Sendung Talk im Turm im Blick auf die mutmaßlich gefälschten Beiträge noch behauptete, sondern durch eine eidesstattliche Versicherung, die zudem noch wertlos ist, weil sie nicht gegenüber einer Behörde abgegeben worden war.

Widerspruch reiht sich an Widerspruch: So berichtet Zaik einerseits von einem Cutter, der „seine liebe Not“ mit dem Bornmaterial gehabt habe. Allerdings sei die Manipulation der Bilder weder ihm noch anderen aufgefallen. Zaik scheint bei der Vorbereitung auf seine Zeugenaussage auch eine andere Äußerung übersehen zu haben. Zu Beginn des Skandals sagte er zum Spiegel, Born habe sich mit dem Hinweis auf Informantenschutz geweigert, die Personalien des Jägers herauszugeben. Auf welche Weise ist dann aber das Telefonat von Pfeiffer mit dem angeblichen Jäger zu Stande gekommen?

Ein Lapsus, der eigentlich nicht hätte passieren sollen. Denn Zaik weiß stets, welche Fragen ihm der Richter stellen will, noch bevor der seine Sätze zu Ende formuliert hat, wie der SZ nicht entgeht:

"Er weiß auch, was Stern TV-Redakteure vor ihm im Prozess (...) ausgesagt haben, und er erklärt heikle Filmszenen mit denselben Worten, die andere Zeugen schon ausgeführt haben. (...) Seit Prozessbeginn (...) lässt der Medienkonzern Gruner+Jahr für Stern TV Protokolle über die Zeugenaussagen im Gerichtssaal anfertigen, von Menschen, die mit auf der Pressebank sitzen."

Während Borns Anwalt mit dem Versuch scheitert, den TV-Kujau als vermindert schuldfähig darzustellen - der Leiter der Gerichtspsychiatrie der Landesklinik Andernach, Rainer Gliemann, bescheinigt dem Angeklagten vor dem Gericht überdurchschnittliche Intelligenz, aber keinen Befund mit „Krankheitswert“ -  gelingt es ihm, Zweifel zu säen, dass alle Redakteure ahnungslos waren.

Beispiel: Ein Beitrag, den Hüpen gemeinsam mit Born über die angebliche Einfuhr BSE-verseuchter Rinder aus Großbritannien über Holland nach Mecklenburg-Vorpommern im Herbst 1994 fertigte. Bereits die vor der Sendung verschickte Presseankündigung rief Staatsanwalt Reinhard Krüger in Rostock auf den Plan. Nach Ausstrahlung der Reportage setzte sich in dem Bundesland ein Ermittlungsapparat in Gang, der sämtliche Veterinär- und Landwirtschaftsämter alarmierte - ganze Viehherden wurden untersucht. Mehr noch: auch in den Niederlanden liefen Überprüfungen, irische Behörden verwahrten sich gegen die Vorwürfe, bei ihnen seien illegale Exporte möglich.

Besonders heikel: der niederländische Viehhändler, der von stern TV als Kronzeuge für die Behauptungen vorgestellt worden war, erklärte, das in der Sendung gezeigte Interview gar nicht gegeben zu haben. Wie Zaik über Hüpens nachgestelltes Telefongespräch mit dem Viehhändler denke? Dies sei ein „probates journalistisches Stilmittel“.

Und wie er den Film über Bodenverseuchungen durch eine Chemiefirma beurteile, in dem der Ex-stern TV-Redakteur Hering einen toten Fisch kameragerecht ins Bild treiben lässt? „Davon habe ich erst aus der Presse erfahren“, so Zaik. Ebenso wie von dem nachträglich aufgenommenen Bombenton in der inszenierten Reportage über Bethlehem.

Von Born getrennt habe er sich nach einem Beitrag über „Kinderarbeit in Indien“ im Sommer 1995. Wieso dieser trotzdem wenig später für das Magazin in die nigerianische Hauptstadt Lagos gereist sei, will der Richter wissen. Born sei für Risiko-Beiträge bekannt gewesen, erklärt Zaik. Daher habe man ihn erneut als Kamerareporter engagiert. Born behauptet hingegen, er sei als Co-Autor mitgereist. 

„Haben Sie die verantwortlichen Personen für diese Filme überhaupt angesprochen“, wird er vom Richter gefragt. Zaiks Antwort: „Glaube ich nicht.“ Anders ausgedrückt: selbst als bei stern TV das Ausmaß der Katastrophe klar geworden ist, hat es Zaik als Chefredakteur unterlassen, die Verantwortlichen im eigenen Haus festzustellen. Später rechtfertigt er die Erinnerungslücke damit, dass er nach Bekanntwerden der Affäre, genug anderes zu tun gehabt habe wie etwa nach undichten Stellen in seiner Redaktion zu suchen.

Eine Bemerkung, die der Behauptung der Verteidigung, das Magazin habe gegen Born ein „Schweigekartell“ gebildet und verfolge zur eigenen Freisprechung eine Strategie des ahnungslosen Opfers, Nahrung gibt. Als es dann um den Zeitpunkt geht, zu dem Zaik Kenntnis von den Ermittlungen der Behörden bekommen haben will, prallen die beiden bekannten unvereinbaren Positionen aufeinander. Während das Gericht für stern TV den 6. Dezember 1995 festhält, sagt der mitangeklagte Charalampous aus, dass er den schon am 24. oder 25. November über alle Born-Filme in Kenntnis gesetzt habe.

Mittwoch, 4. Dezember 1996

Es ist müßig, zu erwähnen, dass sich die Equipe von  stern TV durch diesen Aussagen-Wirrwarr blamiert. Das Resümee der FAZ ist repräsentativ für den Tenor in den Medien:

"Durch die Zeugenaussagen erscheint die Zusammenarbeit Borns mit den Magazinen nicht in eindeutigem Licht. Betrügen konnte er nur, wenn niemand von seinem Tun wusste. Daran gibt es Zweifel. Hinzu kommt, dass durch Borns Filme ein Schaden entstanden sein muss."

Fest steht: Der Imageschaden, den das Magazin durch den Skandal erleidet, ebenso wie der Schaden für die Glaubwürdigkeit des TV-Journalismus, ist nicht zu beziffern. Wie es indes um den materiellen Schaden steht - ein Tatbestandmerkmal des Betrugs, weswegen Born sich ja vor Gericht zu verantworten hat -, steht auf einem anderen Blatt.

Und in der Tat: Bei wem ist eigentlich der Vermögensschaden durch die reißerischen Born-Fakes entstanden? Denn stern TV blieb nicht etwa auf den Beiträgen des TV-Kujau sitzen, sondern hat sie Gewinn und Quote bringend versendet.

Nach 20 Prozesstagen wird die Beweisaufnahme am 9. Dezember beendet, am 16. Dezember stehen die Schlussplädoyers auf der Agenda. Borns Verteidiger Jacob plädiert auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung und zieht einen gewagten Schlussstrich: Es werde in den TV-Redaktionen eine Zeit vor und eine Zeit nach Born geben.

Eine Einschätzung, der sich der Staatsanwalt anschließt. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Schmengler fordert fünf Jahre Haft für Born, obwohl auch er weiß, dass dieser keineswegs Alleinschuldiger in dem Betrugsfall ist.  Bis zur Urteilsverkündung am 23. Dezember geht der Kleinkrieg weiter. Das Landgericht Koblenz weist eine Klage von stern TV gegen Born auf Schadenersatz ab, worin das Magazin seinen materiellen Schaden auf 350.000 Mark beziffert - die Honorarsumme der gefälschten Filme.

Damit folgt das Gericht dem Argument der Verteidigung, der materielle Schadensbegriff nach § 263 StGB könne nicht angewendet werden, weil stern TV durch die Born-Beiträge „sehr viel Geld eingefahren“ habe. Auch der Staatsanwalt erklärt, der materielle Schaden sei „nicht allzu hoch“. Zumal es keine Stornierungen bei den Werbezeiten gegeben und die Redaktion den Schaden zudem nicht schlüssig dargelegt habe.

Die Richter folgen auch nicht dem Argument von stern TV, dass die Sendung wegen der Fälschungsserie in aller Öffentlichkeit als Magazin gehandelt werde, das gefälschte Beiträge ausstrahle. Daraus könne der Vermögensschaden nicht abgeleitet werden. Offenbar seien die beanstandeten Beiträge für das Magazin nicht ohne Wert gewesen, denn sie seien ja gesendet worden.

Nach einem Etappensieg für Born - er darf 40.000 Mark Honorar, die er von stern TV für zwei Beiträge kassiert hatte, behalten - stellt er erneut Strafanzeigen. Diesmal  gegen Zaik, Jauch sowie Verlagsanwalt Seibert wegen unwahrer Zeugenaussagen. Bis auf eine Strafanzeige gegen die frühere Redakteurin Sigrid Hüpen wegen möglichen Meineids werden alle Verfahren wenig später eingestellt. 

 
 

Freitag, 5. Juni 2015

SitCen - Europas CIA: BND arbeitet mit am Aufbau von pan-europäischem Geheimdienst

Bürger-Ausspähung vorbei an der Öffentlichkeit
 
Ungeachtet des aktuellen BND/NSA-Skandals schreitet unter Mitwirkung des BND der Aufbau eines EU-weiten Geheimdienstes voran.  Schon 2010  wurde die europäische Spionage-Agentur Joint Situation Centre (SitCen) in Brüssel von der damaligen EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit in den Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS) eingegliedert.
SitCen unbehelligt im Zuge des BND-Skandals

Zu deren Direktor wurde Ikka Salmi nominiert, dessen Namen seitdem nicht mehr in den Medien auftauchte. Selbst als vor kurzem Politiker im Zuge des BRD-Spionage-Skandals für mehr nachrichtendienstliche Koordination auf europäischer Ebene plädierten, erinnerte sich niemand an den Ex-Chef des finnischen Geheimdienstes, zu dessen Aufgaben die Abstimmung von mehr als 20 Inlandsspionagediensten aus EU-Mitgliedsländern gehört.

Gegründet für mehr Unabhängigkeit von USA
SitCen wurde Mitte der 90er Jahre gegründet, um Europa mehr Handlungsspielraum gegenüber den US-Geheimdiensten zu geben. Im Zuge der Entwicklung einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik brauche Europa auch einen gemeinsamen Nachrichtendienst, hieß es 1996 in der Zeitschrift “Internationale Politik”. Proteste aus den USA suchte die damalige Kohl-Regierung durch Bekenntnisse zur transatlantischen Partnerschaft zu mildern. Erster Chef von SitCen wurde der US-freundliche Brite William Shapcott. Noch 2001 musste Berlin den als Nachfolger vorgesehenen CDU-Politiker, Christoph Heusgen, der übrigens Mitglied in der “Atlantik Brücke” ist, zurückziehen.

110 Spione arbeiten rund um die Uhr
Heute tauschen sich bei SitCen in sogenannten Zellen rund um die Uhr Auslandsgeheimdienste u.a. aus Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien, den Niederlanden, Schweden und eben auch der BND gegenseitig über Erkenntnisse und darauf basierende Schlussfolgerungen nebst Handlungsempfehlungen aus. 110 Mitarbeiter versorgen das Kabinett der amtierenden EU-Aussenministerin Federica Mogherini sowie weitere hochrangige EU-Repräsentaten mit Berichten zur mittelfristigen Entwicklung der innereuropäischen Sicherheitssituation. Zu ihren Aufgaben gehören die Beurteilung möglicher Bedrohungen des öffentlichen Transportsektors oder der Infrastruktur genauso wie die Identifizierung von Trends in Sachen Terror-Finanzierung.

20 Inlandsgeheimdienste spähen Bürger aus
Jedes Jahr wirft SitCen rund 200 Situations- sowie 50 Spezial-Berichte oder Briefings aus, die auf geheimen Papieren von mehr als 20 Inlandsgeheimdiensten basieren. Darüber hinaus liefern der Europäische Rat, die Kommission sowie EU-Delegationen Stoff, der mit öffentlich zugänglichen Nachrichten aus On- und Offline-Medien abgeglichen wird. Es gilt zudem als sicher, dass SitCen Material über Interventionen von Polizeien und Streitkräften in EU-Staaten sammelt und auswertet. Ziel ist die europäische Bevölkerung. Dabei stehen besonders Demonstrationen, politische Kungebungen sowie Vereine oder Parteien, Kirchen und so fort im Fokus. Mit anderen Worten: SitCen späht europaweit die Partizipation der Bürger am Prozess der öffentlichen Meinungsbildung aus.

Keine parlamentarische Kontrolle
Nur wenige Dokumente sind öffentlich, darunter eines aus dem Jahr 2001. Es trägt den Titel “Vorschläge für ein kohärentes und verständliches Krisen-Management in der EU”.  Darin heisst es nebulös, dass SitCen in normalen Zeiten internationale Entwicklungen beobachtet, Frühwarnung betreibt und über die Ergebnisse berechtigte EU-Institutionen infomiere. In Krisenzeiten würden zusätzlich Verschlusssachen aus den Mitgliedsstaaten bereitgestellt.

Zwar bemüht sich das Europaparlament in Sachen SitCen seit Jahren um mehr Transparenz, doch bis heute entzieht sich die Spionage-Agentur jeglicher parlamentarischen Kontrolle. Festzustehen scheint jedoch, dass sie Erkenntnisse (noch) nicht aus eigenen (verdeckten) Operationen gewinnt. Für Experten ist es aber nur eine Frage der Zeit, dass der nachrichtendienstliche Service-Provider beim EEAS mit weiterreichenden Kompetenzen ausgestattet werden wird.

Kritiker sprechen von „europäischer CIA“
Schon vor längerem warnten Kritiker wie der britische Think Tank „Open Europe“ vor einer "europäischen CIA". Der Ausbau zu einem regulären europäischen Geheimdienst sei die Konsequenz des systematischen deutsch-europäischen Strebens nach machtvoller Einflussnahme in globalem Maßstab, durch eine auf Spionage fundierte und im Zweifelsfall zum Rückgriff auf Gewalt bereite Außen- und Militärpolitik.